Eigenständig trotz Blindheit
Bantschiayehu kam in Äthiopien auf dem Land zur Welt, ihr Name bedeutet: «In dir habe ich etwas Gutes gesehen.» Mit drei Jahren erblindete sie, weil sie zu wenig Vitamin A erhalten hatte. Zwar wurde sie noch zur Behandlung in die Walga-Klinik gebracht, doch es war bereits zu spät, um ihr Augenlicht zu retten.
Später sandten die Klinikmitarbeiter das Mädchen nach Addis Abeba ins Misrach Center, ein Ausbildungszentrum für Menschen mit körperlicher Behinderung. Dort wurde abgeklärt, welche Möglichkeiten es für sie geben könnte. Bantschi, so die Kurzform des Namens, erhielt einen Platz in einer Internatsschule und wurde vom Misrach Center finanziell unterstützt. Ab der siebten Klasse konnte sie eine normale Schule besuchen, war also mit sehenden Kindern zusammen.
Der Weg ins Berufsleben
Im Februar 2009 wurde im Misrach Center die neue Wohngruppe für blinde junge Frauen eröffnet, und Bantschi durfte dort einziehen. Viereinhalb Jahre wohnte sie dort. Eine Zeit mit vielen Aufs und Abs, wie sie im Leben eines jungen Menschen vorkommen, aber auch eine Zeit, in der wertvolle Beziehungen wuchsen.
Im Herbst 2013 war es dann so weit: Bantschi zog weiter an die Universität. Während drei Jahren studierte sie Heilpädagogik. Zurück in Addis Abeba, war es für sie nicht einfach, eine Arbeit zu finden, aber schliesslich wurde die junge Frau an einer Regierungsschule als Beraterin für Mutter-und-Kind-Probleme eingestellt.
Eine eigene Familie – und ein Rückschlag
Später heiratete Bantschi, und im November 2019 kam ihr erstes Kind zur Welt. Alles schien in Ordnung zu sein. Doch dann stürzte ein medizinisches Problem die junge Familie in finanzielle Not: Die junge Mutter musste ihr Baby abstillen und Milchpulver kaufen. In Äthiopien ein teures Importprodukt, das sich die meisten Menschen kaum leisten können. So brachte der Kauf des Milchpulvers das knappe Familienbudget aus dem Lot. Doch schliesslich fand sich auch für dieses Problem eine Lösung.
Im November 2020 ist Eldana, so heisst Bantschis Tochter, ein Jahr alt geworden. Den Geburtstag feierte die kleine Familie zusammen mit Therese Ramseier, Mitarbeiterin der Mission am Nil, die für Bantschi während ihrer Zeit im Misrach Center zu einer Art «Ersatzmami» geworden war.
So ist aus einem Mädchen, das einst unter unglücklichen Umständen sein Augenlicht verlor, eine selbstständige Erwachsene geworden, die eine Familie gründen konnte und in ihrem Beruf andere junge Mütter unterstützt. Wie bedeutet doch der Name Bantschiayehu: «In dir habe ich etwas Gutes gesehen.»
Aktuelles Update:
Corona-Pandemie sorgt für finanzielle Nöte
Die schwierige Lage mit Covid-19 und politischen Spannungen hat in Äthiopien zu einer starken Teuerung geführt, die für viele Menschen existenzielle Nöte zur Folge hat: Ihnen fehlt das Geld, um die Miete zu zahlen oder Nahrung zu kaufen, geschweige denn auf eine halbwegs ausgewogene Ernährung zu achten.
100 Franken für einen Liter Öl?
Ein Beispiel aus dem Alltag: Ein Liter Öl, wie man ihn zum Kochen benötigt, kostet um die 120 Birr, also ca. 2.50 Franken. Umgerechnet auf Schweizer Verhältnisse entspräche das einem Preis von mehr als 100 Franken.
Schon in normalen Zeiten müssen die Menschen in Äthiopien einen viel grösseren Teil ihres Einkommens für Miete und Lebensmittel aufwenden als in der Schweiz. So bleibt kaum etwas übrig, um Reserven zu bilden. Unvorhergesehe Ausgaben wie ein Krankenhausaufenthalt führen sehr schnell dazu, dass die Rechnung nicht mehr aufgeht. Eine Krankenkasse oder eine Versicherung, die in solchen Fällen einspringen, hat kaum jemand.
Auch die im obigen Text vorgestellte Familie ist erneut von einer akuten Notlage betroffen, weil Bantschis Mann ohne eigenes Verschulden vorübergehend nur noch die Hälfte seines Lohns erhält. Sie werden deshalb für diese Übergangszeit durch unseren Sozialfonds unterstützt. Ohne diese Hilfe könnte die Familie die Miete nicht mehr bezahlen, was in Äthiopien in der Regel zum sofortigen Verlust der Wohnung führt.
Kleine Beträge, grosse Wirkung
Der Sozialfonds der Mission am Nil dient dazu, afrikanischen Mitarbeitenden oder Auszubildenden und ihren Familien in gravierenden Notlagen unbürokratisch unter die Arme zu greifen. Dabei wird der Bedarf immer sorgfältig abgeklärt. Seit einigen Monaten ist unser Team in Äthiopien extrem gefordert, weil sich die Hilferufe häufen. Dabei mögen die Beträge, um die es im Einzelfall geht, für Schweizer Ohren fast schon lächerlich klingen: Im Fall von Bantschis Familie genügen 1500 Birr im Monat, also knapp 35 Franken, um die Notlage zu überbrücken. In Äthiopien entscheiden Beträge dieser Grössenordnung, ob eine Familie in einer bescheidenen Wohnung leben kann – oder mit Sack und Pack auf der Strasse landet.