Eine grausame Wahl
Therese Ramseier, Mitarbeiterin im Misrach Center in Addis Abeba, ist oft mit schwierigen Lebensgeschichten und Situationen konfrontiert, die für uns Schweizer oder Deutsche kaum vorstellbar sind, in Äthiopien aber zum Alltag gehören. Das zeigt zum Beispiel die folgende Geschichte:
«Eine junge, durch eine Krankheit erblindete Frau namens Tiruset (übersetzt «Gute Frau»), die vor einigen Jahren im Misrach Center die Blindenschule absolviert hatte, erwartete ihr zweites Kind. Im dritten Monat der Schwangerschaft hatte sie starke Schmerzen im linken Unterschenkel. Die ärztliche Untersuchung ergab eine tiefe Venenthrombose, die eine Therapie zur Blutgerinnungshemmung erfordert.
Das eine Medikament, das es als Tabletten gibt und das finanziell erschwinglich wäre, schädigt das ungeborene Kind. Schwangere benötigen ein anderes Medikament in flüssiger Form, das die Plazentaschranke nicht durchbricht und zweimal täglich gespritzt werden muss, aber in Äthiopien extrem teuer ist.
Eine überraschende Lösung
Die Ärzte rieten zum Schwangerschaftsabbruch, aber das kam für das Ehepaar nicht in Frage. So fing der Ehemann, der selber auch blind ist, an, alle Bekannten und Verwandten um Geld zu bitten. Doch das Unterfangen war hoffnungslos: Täglich 1500 bis gegen 3000 Birr (d.h. 35 bis 70 Franken), je nach Marke des Medikaments, und das über vier Monate – das ist für uns Europäer eine Menge Geld und in Äthiopien ein Vermögen.
Schliesslich kam der Mann in seiner Not ins MC und bat um Hilfe. Nun war guter Rat buchstäblich teuer. Plötzlich kam mir der Gedanke, ob das Medikament nicht vielleicht in Europa billiger zu beschaffen wäre. Tatsächlich bestätigte sich, dass das Mittel – warum auch immer – in Ländern wie der Schweiz oder Deutschland nur einen Bruchteil kostet. So gelang es, eine tragbare Lösung zu finden.
Es berührt mich sehr, dass viele Menschen hier sich eine dringende Behandlung schlichtweg nicht leisten können. Im geschilderten Fall hätte ohne unser Eingreifen entweder das Kind geopfert oder das Leben der Mutter aufs Spiel gesetzt werden müssen, da ihr ohne Behandlung eine Lungenembolie drohte.»
Mut und Gottvertrauen
Das Beispiel zeigt es: Wir als Mission am Nil und vor allem unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Afrika sind herausgefordert, inmitten der grossen Not, die uns in vielen afrikanischen Ländern auf Schritt und Tritt begegnet, immer wieder die einzelnen Menschen zu sehen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und nach kreativen Lösungen zu suchen. Sich dem auszusetzen, braucht Mut – und Gottvertrauen.
Foto oben: Symbolbild
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