Ganz anders als geplant
Mitten in den lange geplanten Vorbereitungen für die Renovation der Schule in Adi Quala (Eritrea) stellte im Herbst 2021 eine überraschende, ja schockierende Nachricht alles in Frage.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche Eritreas, die vor Ort als unser Partner die Verantwortung für die Schule trägt, informierte uns, dass die Regierung die Schule mit sofortiger Wirkung übernehmen werde. Es bestand keine Möglichkeit, sich gegen die einseitige Verfügung von höchster Stelle zu wehren. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer wurden von einem Tag auf den anderen durch neues Personal ersetzt.
Gespräche vor Ort schaffen Klarheit
Nach dieser schockierenden Nachricht begannen Hermann Bösch, Präsident der Mission am Nil, und Michael Böttiger, verantwortlich für die Projektbegleitung in der Schweiz, umgehend mit der Planung eines Besuchs vor Ort, um mit unserem Partner die Situation und die weitere Entwicklung im direkten Gespräch zu klären. Tatsächlich wurden die beantragten Visa zugesagt, so dass Anfang November ein Kurzbesuch stattfinden konnte.
In intensiven Gesprächen in der Hauptstadt Asmara ist es gelungen, einen Überblick der Lage zu gewinnen und eine Strategie für die Zukunft zu entwerfen. So hat sich herausgestellt, dass von der Verstaatlichung «nur» die eigentlichen Schulräume betroffen sind, sprich die Klassenzimmer und die Bibliothek. Das Internat und die kirchlichen Räume, die zusammen mehr als die Hälfte des weitläufigen Geländes in Adi Quala ausmachen, bleiben in der Obhut der Kirche.
Das bedeutet, dass der Internatsbetrieb für besonders bedürftige Kinder wie Waisen oder Kinder mit einer Behinderung im bisherigen Rahmen weitergeführt werden können. Auch die kirchliche Arbeit in Adi Quala mit Gottesdiensten, Sonntagsschule usw. geht weiter. Die Evangelisch-Lutherische Gemeinde dort ist in den vergangenen Jahren erfreulich gewachsen.
Kosten fallen geringer aus
Was bedeutet das nun für uns als Mission am Nil, vor allem mit Blick auf die Spendengelder, die im vergangenen Jahr für die Renovation von Schule und Internat gesammelt wurden?
Da keine Mittel in eine Arbeit fliessen sollen, die komplett ausserhalb unseres Einflussbereichs liegt, ist die geplante Erneuerung der Klassenräume und der Bibliothek nicht mehr Teil des Renovationsprojekts. Hingegen sollen die Internatsräume mit Schlaf- und Aufenthaltsräumen, Küche und Toiletten sowie die Räumlichkeiten der Kirchgemeinde wie geplant saniert werden. Dadurch reduzieren sich die budgetierten Kosten von 100 000 Franken auf gut die Hälfte. Dies korreliert sehr gut mit den bislang gesammelten Mitteln von total rund 60 000 Franken.
Somit können die eingegangenen Spendengelder trotz der nicht absehbaren Entwicklung zweckgemäss verwendet werden. Als erstes wird die WC-Anlage des Internats komplett ersetzt, da hier der Handlungsbedarf am dringendsten ist. Die Arbeiten sollen so rasch wie möglich beginnen.
Schmerzhafter Abschied
Es ist mutigen Pionieren zu verdanken, dass in den 1960er-Jahren in Adi Quala die «Swiss Nile Mission School» entstand. Trotz der für europäische Verhältnisse unglaublich bescheiden wirkenden Infrastruktur gilt die Schule bis heute als eine der besten des Landes. Nicht wenige der dort ausgebildeten Schülerinnen und Schüler sind heute, als Erwachsene, in leitenden Funktionen auf politischer oder wirtschaftlicher Ebene tätig. Nun müssen wir loslassen und darauf vertrauen, dass das, was Tausende von Schülerinnen und Schülern in Adi Quala gelernt haben, auch weiterhin zu Segensspuren führt, die vielen Menschen in diesem bitterarmen Land zugutekommen.
Wir dürfen uns aber auch über das freuen, was in Adi Quala bestehen bleibt: Das Internat, in dem besonders bedürftige und verletzliche Kinder wohnen und so die Schule besuchen können, und eine lebendige Kirchgemeinde, die einer wachsenden Zahl von Menschen eine geistliche Heimat bietet. Hier wollen wir als treuer Partner weiterhin nach unseren Möglichkeiten Unterstützung leisten. Und, wer weiss, vielleicht öffnen sich in Zukunft auch wieder neue Türen für weitere Formen der Zusammenarbeit.